Macht vor der Kamera

Ich habe mir auf arte den Dokumentarfilm Weiner über den kontroversen und skandalgebeutelten amerikanischen Politiker Anthony Weiner angeschaut, war ganz ordentlich gemacht, einen langweiligen, uninteressanten Film hätte man aus der Geschichte kaum machen können.
Am Ende des Films wird Weiner von den Regisseuren gefragt, warum er sich auf diesen Film eingelassen hat, seine Antwort ist (wie so viele seiner Antworten) ziemlich schwammig, seine echte Motivation bleibt unerkennbar und lässt Raum für Spekulationen. Es sind dieselben Spekulationen, die man auch bei anderen Dokumentarfilmen, die Politikern und Geschäftsleuten gefährlich nahe kommen, anstellen kann. Etwa bei den Pennebaker/Hegedus-Produktionen Hier Strauß (über FJS), The War Room (über den Wahlkampf von Bill Clinton) oder Startup.com (über die Gründer eines Startups, das zusammen mit der Internetblase platzte). Das deutsche Pendant zu Startup.com ist Weltmarktführer von Klaus Stern, der mit Henners Traum und Versicherungsvertreter auch noch andere (zeitweilig) Erfolgreiche dokumentiert hat. Dauerhaft erfolgreich ist der Hedgefonds-Manager Paul Todor Jones, dem 1987 die Fernsehdoku Trader über die Schulter blickte (findet man mit etwas Suchen im Internet). Den Mächtigen aus der Politik widmet sich mit Vorliebe Errol Morris, etwa Robert McNamara in The Fog of War oder Donald Rumsfeld in The Unknown Known. Weniger weltgeschichtlich bedeutungsschwer, aber ähnlich bezeichnend geht es in Andreas Dresens Herr Wichmann von der CDU zu.
Bei jedem dieser Filme kann man sich fragen, was die Protagonisten bewegt hat, die Dokumentarfilmer so nahe an sich heran zu lassen, so viel von sich privat und geschäftlich Preis zu geben, sich so weit entlarven zu lassen, ein solches Risiko einzugehen? Ein Risiko ist es tatsächlich, denn während Künstler, (linke) Aktivisten, schräge Vögel und Promis bei Teilnahme an einer Doku über sie selbst mit Wohlwollen, Zustimmung, Huldigung und Verklärung rechnen können und selbst weniger schmeichelhafte Enthüllungen nicht wirklich weh tun, weil es den eigenen Charakter „schillernder“, „menschlicher“ macht und / oder (in jedem Fall zuträgliche) Aufmerksamkeit erzeugt (vgl. z.B. The Big Eden), ist die Erwartungshaltung bei Politikern und Managern (wie den oben genannten) eine genau gegenteilige.
Das Misstrauen und die Ablehnung gegen die meisten Politiker und Manager (und ihre Arbeit) sind tief in der Bevölkerung verankert, entsprechend ausgeprägt ist der Wunsch, sie scheitern zu sehen, ihre Lügen und Tricks gezeigt zu bekommen, ihnen die Maske des Erfolgreichen, Mächtigen, Souveränen herunterzureißen. Selbst wenn sich ein Dokumentarfilmer jeder Wertung und künstlicher Stimmungsmache (a la Michael Moore) enthält (wie es praktisch alle oben genannten Beispiele machen), wird das Publikum die Aufmerksamkeit vor allem auf die negativen Seiten einer portraitierten Person richten. Vor dem Hintergrund stellt sich massiv die Frage, warum man sich als (umstrittener) Politiker oder Manager ohne Not einer solchen Situation aussetzt? Ich sehe hier verschiedene Möglichkeiten (Überschneidungen sind möglich und wahrscheinlich):

– Die wahre Geschichte. Manche haben den Eindruck, dass ihre Person, ihre Arbeit und bestimmte Ereignisse aus ihrer / der Geschichte falsch gesehen werden. Also wollen sie das Instrument des seriösen, gut beleumundeten Dokumentarfilms nutzen, um diese falschen Bilder zu korrigieren, ihr wahres Gesicht zu zeigen, die wahre Geschichte zu erzählen. Diese Motivation ist grundsätzlich verständlich, das ganze kann aber auch sehr leicht nach hinten losgehen.

– Instrumentalisierung. Manche sind sich bewusst, dass der negative Eindruck, der auf ihnen lastet, zutreffend ist. Sie wollen dasselbe wie unter 1., nur eben nicht im guten Glauben der Wahrheit zu dienen, sondern im nicht besonders edlen Bemühen, die Geschichte ein wenig umzuschreiben und sich selbst in einem besseren Licht dastehen zu lassen, als sie verdient haben. Auch das ist verständlich, kann aber noch schlimmer nach hinten losgehen als 1.

– Selbstüberschätzung und Naivität. Die dargestellten Personen sind ja (mehr oder minder) getrieben, exaltiert, erfolgsverwöhnt. Da kann man schon mal die Bodenhaftung verlieren und glauben, dass die Mitarbeit an einer Doku eine tolle Gelegenheit ist, der Welt zu zeigen, wie großartig man ist und was man alles leistet. Teil dieser Fehleinschätzung ist die naive Vorstellung, dass man entweder keine schlechten Seiten hat, die der Film aufdecken könnte oder dass man sich und die Situation derart unter Kontrolle hat, dass man dem Filmmacher nur das liefert, was einem selbst ins Konzept passt.

– Geltungssucht. Wie gesagt sind diese Persönlichkeiten eher exaltierte Macher, die gerne Aufmerksamkeit erlangen. Die einen fühlen sich vielleicht geschmeichelt, wenn man ausgerechnet über sie eine Doku machen will, anderen ist jede Gelegenheit recht, sich in der Öffentlichkeit wichtig zu machen, gemeinsam ist ihnen, dass sie darüber die Gefahren dieses Unterfangens übersehen bzw. ignorieren.

Jeder dieser Gründe ist für sich schon verlockend, besonders reizvoll wird es aber, wenn zusätzlich noch mit einer Portion Sympathie und Wohlwollen zu rechnen ist. Weder Joschka Fischer in Pepe Danquarts Joschka und Herr Fischer noch der Ex-Investmentbanker in Marc Bauders Master of the Universe mussten damit rechnen, dass sie im jeweiligen Film schlecht wegkommen, eher im Gegenteil.

In mancherlei Hinsicht bezeichnend ist, dass ich trotz intensivem Nachdenken und Recherche im Internet keine Doku finde, in der eine Politikerin bzw. Managerin derart tiefe Blicke in ihr Leben zulässt.

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